Erntezeit gleich Ferienzeit – woher kommen die Betreibungsferien?

Am 15. Juli 2012 ist es wieder soweit. In der ganzen Schweiz stehen die zweiwöchigen Betreibungsferien an. Den Schuldner freut’s, hat er doch mehr Zeit zum Zahlen. Den Gläubiger ärgert es, denn er muss länger auf sein Geld warten. Warum und wann gibt es in der Schweiz Betreibungsferien?

Die Betreibungsferien sind keine Schöpfung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs aus dem Jahre 1889. Im Gegenteil: der erste von Andreas Heusler im Auftrag des Bundesrates redigierte Entwurf zu einem eidgenössischen Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz sah gar keine Betreibungsferien vor. Er „vermöge nicht zu erkennen, warum einer, dessen Betreibung in die Zeit des Rechtsstillstandes fällt, dieses Vorteils geniessen soll, der andere dagegen, der vor- oder nachher betrieben wird, nicht,“ begründete er seine Auffassung auf Seite 82 seiner Motive. Auch die beiden Rechtskommissionen des Bundesparlaments hatten sich gegen die Aufnahme von Betreibungsferien ins neue Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) ausgesprochen.

Indes was sich über Jahrhunderte in der alten Eidgenossenschaft unter dem Titel „Betreibungsferien“ herausgebildet hatte, liess sich nicht ohne weiteres über Bord werfen. Entsprechend gross fiel der Widerstand vor allem aus bäuerlichen Kreisen aus, die an den Betreibungsferien festhalten wollten. Während Jahrhunderten hatte es in der alten Eidgenossenschaft in den unterschiedlichsten Formen Betreibungsferien  gegeben. Zwei Systeme standen sich gegenüber: Das der langen, einmaligen Ferien während der Ernte- und Weinlesezeit und das in der Ostschweiz in neuerer Zeit ausgebildete System, nach welchem die vier religiösen Hauptfesttage (Ostern, Pfingsten, Bettag und Weihnachten) mit 14-tägigen Ruhefristen umgeben waren. Schliesslich einigte man sich auf letzteres[1].

Im Jahr 1994 wurde das SchKG revidiert. Es trat 1997 in Kraft. Dieser SchKG-Teilrevision ging eine lange Diskussion voraus. Bereits Ende 1981 legte die 1976 von alt Bundesrat Dr. Kurt Furgler ins Leben gerufene Expertenkommission zur Überprüfung des SchKG ihren Vorentwurf vor. Er sah vor, die Betreibungsferien an Pfingsten und am Bettag wegen der inzwischen erfolgten Säkularisation unserer Gesellschaft abzuschaffen und sie stattdessen im Sommer während eines ganzen Monats, jeweils vom 15. Juli bis 15. August, durchzuführen. „Man ging bei der Einführung dieser Sommerpause davon aus, dass die Ämter während der Sommerferien wegen Abwesenheit der Schuldner oft keine Zustellungen vornehmen können. Auch gehen in dieser Zeit in der Regel weniger Begehren ein“ (Botschaft über die Änderung des SchKG vom 08.05.1991, Art. 56, Seite 52).  Dieses Vorhaben stiess bereits im Vernehmlassungsverfahren auf heftige Ablehnung. Der Anspruch des Gläubigers auf beförderliche Durchführung der Betreibung würde dadurch unverhältnismässig eingeschränkt, weshalb man sich auf die bis heute geltende Regelung einigte, wonach die Betreibungsferien anstelle von Pfingsten und Bettag in der zweiten Juli-Hälfte durchgeführt werden.

Und so gilt, dass in der Schweiz sieben Tage vor und nach Ostern und Weihnachten, sowie vom 15. bis 31. Juli Betreibungsferien herrschen, dass während dieser Zeit keine Zahlungsbefehle und Konkursandrohungen zugestellt, keine Rechtsöffnungsverhandlungen, Pfändungen und Versteigerungen durchgeführt und keine Konkurse eröffnet werden dürfen. Angefangene Fristen, auch Zahlungsfristen, stehen während dieser Zeit in der Regel still.

Daran hat die neue schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) nichts geändert. Zwar gelten im Summarverfahren keine Gerichtsferien mehr, doch verweist Art. 145 Abs. 4 ZPO ausdrücklich auf die Bestimmungen des SchKG über die Betreibungsferien und Rechtsstillstände hin. Fallen die Betreibungs- und die Gerichtsferien zusammen, so gilt für Rechtsöffnungs- und Konkursverhandlungen auf jeden Fall Rechtsstillstand, obschon sie nach den Regeln des Summarverfahrens durchgeführt werden müssen, die einen solchen ausdrücklich nicht vorsehen.

Michele Borrelli



[1] (zitiert aus: Fritz Herzog, Begriff und Zweck der Rechtsstillstände und Betreibungsferien des schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde bei der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, 1907, Seite 53)